Multimodale Schmerztherapie
Akute Schmerzen sind ein Warnsignal des Körpers und ein Symptom dafür, dass die innere Balance nicht mehr stimmt bzw. funktionale Defizite vorliegen. Werden die Ursachen ermittelt und behandelt, lässt der Schmerz normalerweise nach. Anders sieht es aus, wenn der akute Schmerz zum Dauerschmerz wird. Die Betroffenen verharren zunehmend in einer Schonhaltung und beanspruchen ihre Muskeln nicht, oder falsch, um Schmerzen zu vermeiden. Je länger der Schmerz andauert, umso schwieriger wird es allerdings der Abwärtsspirale zu entkommen. Eine multimodale Schmerztherapie kann helfen, die bio-psycho-sozialen Schmerzursachen zu erkennen und lernen, besser mit dem Schmerz umzugehen.
Multimodale Schmerztherapie in Kürze
- Indikationen: Migräne, chronische Kreuzschmerzen, Fibromyalgie, Tumorschmerzen, neuropathische & muskuloskelettale Schmerzen
- Ziele: Steigerung von Beweglichkeit, Funktions- und Kontrollfähigkeit, bessere Schmerzbewältigung, Ermittlung von Beschwerdeauslösern
- Therapien: Psychotherapie, Sozialberatung, Entspannung, Bewegungstherapien, MTT, TENS, Physiotherapie, Stressmanagement
- Durchführung: Als Reha (stationär und ganztägig ambulant) oder in einer Akutklinik (meist kürzer)
- Kostenträger: Krankenkasse bzw. Rentenversicherung
Was ist eine multimodale Schmerztherapie?
Die multimodale Schmerztherapie / interdisziplinäre Schmerztherapie gilt durch ihre Vielzahl (lat. multi) an Behandlungen (lat. modi) als einer der effektivsten Ansätze der Schmerzmedizin. Ärzte und Therapeuten der verschiedensten Fachbereiche arbeiten nach einem gemeinsamen Konzept in interdisziplinären Teams zusammen und kombinieren die körperliche Wiederherstellung mit psycho-sozialen Behandlungsmethoden.
Bei welchen Indikationen wird die multimodale Schmerztherapie eingesetzt?
Meist wird die multimodale Schmerztherapie für Patienten empfohlen, die unter chronischen Schmerzen leiden. Dazu zählen:
- Migräne
- Rückenschmerzen
- Fibromyalgie
- Neuropathische Schmerzen
- Tumorschmerzen
- Psychogene Schmerzkrankheiten
- Muskuloskelettale Schmerzen
- Degenerative Schmerzen aufgrund von Gonarthrose, Coxarthrose, Omarthrose oder Osteoporose
Ebenso sinnvoll ist die Schmerztherapie, wenn durch bestimmte bio-psycho-soziale Faktoren eine Chronifizierung droht. Zu diesen gehören beispielsweise Stress am Arbeitsplatz, familiäre Probleme oder eine depressive Grundstimmung.
Was sind chronische Schmerzen?
Fachleute sprechen von chronischen Schmerzen, wenn der Schmerz seit mindestens 3 Monaten besteht und den Patienten physisch, psychisch-kognitiv und sozial einschränkt. Dazu gehören beispielsweise der Verlust der Mobilität, funktionale Beeinträchtigungen, eine depressive Grundstimmung und sozialer Rückzug.
Darüber hinaus kann sich dauerhafter Schmerz gewissermaßen im zentralen Nervensystem einbrennen und das sogenannte “Schmerzgedächtnis” hervorrufen. In diesem Fall ist das gesamte Nervensystem überreizt, so dass der Neurotransmitter-Stoffwechsel und die schmerzdämpfenden Botenstoffe völlig aus dem Gleichgewicht geraten und das Schmerzempfinden nicht mehr ausreichend dämpfen können. Der Körper reagiert auf die harmlosesten Reize mit Schmerzsignalen. Auf diese Weise können sich selbst leichte Berührungen unerträglich anfühlen und den Betroffenen zu einer Odyssee von Arzt zu Arzt treiben. Daher ist es umso wichtiger, Schmerzen bereits vor einer Chronifizierung adäquat zu behandeln und nicht nur mit einer medikamentösen Therapie zu dämpfen.
Was sind die Ziele der multimodalen Schmerzbehandlung?
Multimodale Behandlungen fördern das Verlernen schmerzbedingter Verhaltensmuster, die Aufgabe von Schonhaltungen und die Stärkung von Aktivität und Eigenverantwortung. Auf diese Weise wird das Gehirn gewissermaßen umprogrammiert und das Schmerzgedächtnis gelöscht. Ebenso werden die allgemeine Fitness, die Koordination und die Körperwahrnehmung gesteigert, so dass die Patienten Alltagstätigkeiten wiederaufnehmen können und die Arbeitsfähigkeit wiederhergestellt wird. Für den Patienten bedeutet dies konkret
- die Wiederherstellung der „Funktionsfähigkeit“ auf körperlicher, psychischer und sozialer Ebene,
- eine Verbesserung der körperlichen Beweglichkeit,
- die Steigerung der eigenen Kontrollfähigkeit,
- einen besseren Umgang mit dem Schmerzerleben,
- die Erkennung von Beschwerdeauslösern (zum Beispiel Zusammenhang zwischen Stress und Schmerz) und
- die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit.
Wie erfolgreich sind multimodale Behandlungen?
Eine alleinige Behandlung mit Analgetika erzielt bei chronischen Schmerzpatienten u. a. aufgrund des Ceiling-Effekts meist nur eine geringfügige Verbesserung. Schließlich bleibt die Wirkung vieler Medikamente trotz Dosis-Steigerung gleich und reicht nicht aus, um den Schmerz komplett zu beseitigen. Vielmehr müssen zusätzlich zur medikamentösen Schmerztherapie die Ursachen behandelt und effektive Schmerz-Bewältigungsstrategien erlernt werden. So belegen zahlreiche Studien, dass nach einer multimodalen Therapie wesentlich mehr Patienten ins Berufsleben zurückkehren als bei einer konventionellen Behandlung. Die Schmerzen werden als deutlich reduziert wahrgenommen, die Zahl der Arztbesuche nach der Schmerz-Reha verringert sich. Die allgemeine Lebensqualität steigt und die Betroffenen weisen nach Therapieende weniger Schmerzen und depressive Verstimmungen auf.
Wie läuft eine multimodale Schmerztherapie ab?
Eine multimodale Schmerzbehandlung umfasst mehrere Fachbereiche, die eng miteinander verzahnt sind und therapeutisch aufeinander aufbauen. Der Therapieplan umfasst mindestens 100 Therapieeinheiten und enthält neben der ärztlichen Begleitung auch bewegungstherapeutische und psychologische Elemente sowie eine Pharmakotherapie. Darüber hinaus finden zahlreiche Informationsveranstaltungen statt, in denen ein umfassendes Wissen zur Schmerzentstehung, Schmerzwahrnehmung und bestimmten Schmerzmedikamenten vermittelt wird. Über Entspannungsverfahren wie Autogenes Training oder Progressive Muskelentspannung wird eine aktive Schmerzbewältigung geübt.
Welche Therapien werden in einer multimodalen Schmerztherapie durchgeführt?
Jede interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie (IMST) wird mit wöchentlichen Behandlungsplänen individuell auf den jeweiligen Patienten zugeschnitten. Zu den Therapien gehören:
- Verhaltenstherapie & psychologische Gespräche
- Entspannungstraining wie progressive Muskelrelaxation
- Bewegungstherapie in der Gruppe
- Sozialberatung
- Stressvortrag
- Medizinische Trainingstherapie
- Physiotherapie, auch im Wasser
- TENS (transkutane elektrische Nervenstimulation)
Kann die Schmerztherapie ambulant erfolgen?
Dies hängt in erster Linie davon ab, ob die Behandlung in einer Akutklinik oder einer Reha-Klinik stattfindet. Während klassische Schmerzkliniken mit Ausnahme von teilstationären Einrichtungen / Tageskliniken vollstationär arbeiten, führen die meisten Rehakliniken die spezielle Schmerztherapie sowohl stationär als auch ganztägig ambulant durch. Die Qualität der Behandlungen ist dieselbe, Unterschiede bestehen lediglich in der Unterbringung. Erfolgt die multimodale Schmerztherapie ambulant, suchen die Rehabilitanden die Klinik an den Werktagen für mehrere Stunden auf und verbringen die Abende und die Wochenenden im gewohnten sozialen Umfeld. Bei einer stationären Aufnahme verbleibt der Patient die gesamte Zeit in der Fachklinik.
Welche Maßnahme die richtige ist, entscheiden der Einzelfall und die Lebenssituation des Schmerzpatienten. In vielen Fällen wird einer stationären Therapie der Vorzug gegeben, weil sich die Betroffenen hier ausschließlich auf sich und ihre Genesung konzentrieren können. Tägliche Anfahrtswege und Pflichten im Haushalt entfallen; ebenso kann problematischen Familienkonstellationen aus dem Weg gegangen werden.
Welche Voraussetzungen sind für eine stationäre interdisziplinäre Schmerztherapie notwendig?
Chronische Schmerzpatienten sollten den behandelnden Arzt nach längerer, erfolgloser ambulanter Schmerzbehandlung auf eine ambulante oder stationäre Schmerztherapie ansprechen. Schließlich gilt es rechtzeitig einzugreifen und die Anlage des Schmerzgedächtnisses und eine Chronifizierung zu verhindern. Für die Beantragung sollten folgende Kriterien erfüllt sein:
Somatische Voraussetzungen
- Steigender Medikamentenverbrauch bis hin zur Abhängigkeit von Schmerzmitteln
- Zunahme von Begleiterkrankungen
- Starke und häufige Schmerzanfälle
- Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit aufgrund von Schmerzen und funktionalen Einschränkungen
- Missverhältnis von objektiver und subjektiv empfundener Beeinträchtigung
Soziale Voraussetzungen
- Verlust von Interessen und Vernachlässigung des sozialen Umfelds
- Zunehmende soziale Konflikte aufgrund von Gereiztheit und Überforderung
- Schmerzbedingte Fehlzeiten am Arbeitsplatz
- Vermehrte Inanspruchnahme von Schmerzbehandlungen
Psychische Voraussetzungen
- Depressionen, Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit
- Vermeidungsstrategien
- Angststörungen und Panikattacken
- Somatisierungen
Wie lange dauert eine interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie?
Bei einer Akutbehandlung in einer Schmerzklinik liegt die Dauer meist zwischen 7 und 20 Tagen, ausschlaggebend ist die Ausprägung des Schmerzes und die jeweilige Indikation. Findet die Schmerz-Behandlung im Rahmen einer medizinischen Rehabilitation in einer Rehaklinik Orthopädie statt, ist zunächst von einer Dauer von 3 Wochen auszugehen. Bei medizinischer Notwendigkeit kann die Rehabilitation ggf. auf Antrag des behandelnden Arztes verlängert werden.
Welche Vorteile bietet eine rehabilitative multimodale Schmerztherapie?
Findet die multimodale Schmerztherapie im Rahmen einer Reha Orthopädie statt, wird neben der schmerzmedizinischen Versorgung auch das jeweilige orthopädische Krankheitsbild gezielt behandelt. Bei degenerativen Schmerzen durch Arthrose kommen mit Hydro- und Balneotherapie, Massagen und anderen physikalischen Anwendungen beispielsweise deutlich mehr Therapien zum Einsatz als bei einer reinen Schmerztherapie. Der „multimodale Hebel“ zur Schmerzbewältigung ist demzufolge etwas stärker.
Wer zahlt die multimodale Schmerztherapie?
Erfolgt die interdisziplinäre multimodale Schmerztherapie als Rehabilitation, sind die zuständigen Kostenträger entweder die Rentenversicherung oder die Krankenkasse. Welcher Kostenträger der individuell richtige ist, hängt dabei von der persönlichen Lebenssituation des Betroffenen ab. So übernimmt die DRV in der Regel die Kosten bei Berufstätigen, wenn die Rehabilitation eine Minderung der Erwerbsfähigkeit oder eine Erwerbsunfähigkeit abwenden kann. Bei Menschen, die nicht oder nicht mehr im Berufsleben stehen, ist die Krankenkasse der verantwortliche Ansprechpartner. Allerdings sind die Hürden für die Bewilligung aufgrund der Behandlungsintensität und der hohen Kosten relativ schwer zu nehmen. Bei den Krankenkassen wird in vielen Fällen der medizinische Dienst (MDK) zur Begutachtung hinzugezogen.
Wie hoch ist die tägliche Zuzahlung für die IMST?
Stationäre Aufenthalte in Kliniken und Reha-Kliniken sind ab dem vollendeten 18. Lebensjahr für eine bestimmte Anzahl an Tagen pro Kalenderjahr zuzahlungspflichtig. Bei der Krankenkasse sind an 28 Tagen 10 EURO für ambulante und stationäre Rehabilitationen zu leisten. Bei der Rentenversicherung sind ganztägig ambulante Behandlungen zuzahlungsfrei, dafür umfasst die Dauer der Eigenbeteiligung bei stationären Behandlungen 42 Tage.